Immer mal wieder lese ich Bücher, die mich brennend interessieren und dann wahnsinnig enttäuschen. Kürzlich ist mir das Buch Handbuch Kreatives Schreiben. Literarische Techniken verstehen und anwenden von Julia Genz aufgefallen, und da ich mich aus meiner eigenen Studienzeit noch erinnern konnte, dass es unter dem Label “utb” durchaus hilfreiche Bücher gab, habe ich es gelesen.
Leider ist dieses “Handbuch” so verschwurbelt geschrieben, dass man fast sicher sein kann, dass es kein inhaltliches Lektorat gab.1 Auch der Titel ist grob irreführend, da das Buch eigentlich eine Anleitung ist, ein spezielles Seminar (nämlich das der Autorin) im Bereich Germanistik durchzuführen.
Dabei geht es in erster Linie darum, sich von kulturwissenschaftlichen, philosophischen oder anderen Texten zu eigenen literarischen Texten inspirieren zu lassen und dadurch wiederum die gelesen Texte besser zu verstehen. Also zwei Fliegen mit einer Klappe: Leseliste abarbeiten und gleichzeitig literarisches Schreiben lernen.
Ich finde diesen Ansatz interessant und bin auch sicher, dass so ein Seminar richtig klasse sein kann. Aber durch das Buch habe ich es nur bis zur Hälfte geschafft und nichts Nützliches dabei finden können. Das liegt in erster Linie am Stil, aber auch an der Argumentationsweise (was ja oft ein und dasselbe ist). Beides scheint mir im Handbuch ziemlich schludrig behandelt zu werden, sodass sich dieses Buch eher wie ein erster Entwurf liest, oder als ein abschreckendes Beispiel für akademische Prosa.
Nur ein Beispiel aus der Einleitung. Da steht unter der Überschrift “Ereignisorientierung” folgender Satz:
Die seit den 1990er-Jahren übliche Produktionsorientierung in kreativen Schreibkursen wird, wie das oben angeführte Zitat von Bräuer fordert, aufgegeben und hier zugunsten einer Ereignisorientierung erweitert. (S.9)
Mit diesem Satz stimmen gleich mehrere Dinge nicht. Zum einen inhaltlich: Das genannte “oben angeführte Zitat” “fordert” nämlich nichts, sondern stellt etwas fest oder kündigt etwas an. Dort heißt es nämlich: “Die Idee vom ‘work in progress’ wird endlich beim Wort genommen” und nicht etwa Die Idee […] muss endlich beim Wort genommen werden. Wenn der Autor in seinem zitierten Text in der Tat etwas Vergleichbares fordert, wäre höchstwahrscheinlich ein anderes Zitat passender gewesen. Irgendwo muss die Forderung ja formuliert worden sein.
Zweitens ist die Vorstellung, Zitate könnten etwas “fordern”, an sich schon eigentümlich. Fordern nicht eher diejenigen, die man zitiert? Warum sagt die Autorin hier nicht einfach Wie Bräuer [der Autor des Zitats] fordert? (Ich sage ja auch nicht Das Zitat des UN-Generalsekretärs fordert Waffenstillstand.)
Drittens ist der Ausdruck “kreative Schreibkurse” schief. Es gibt Kurse für kreatives/Kreatives Schreiben oder auch Kreatives-Schreiben-Kurse, aber wenn man wie hier das Wort “kreativ” als normales Adjektiv vor das Nomen setzt, charakterisiert man dann nicht einfach die Schreibkurse als kreativ? (Ich sage ja auch nicht literarische Kritik, wenn ich Literaturkritik meine.)
Viertens scheint mir das Argument, die “Produktionsorientiertung” werde zuerst “aufgegeben”, dann aber “erweitert”, nicht schlüssig. Wenn ich etwas aufgebe, dann muss ich schließlich mit etwas Neuem anfangen. Sonst brauche ich ja nicht von Aufgeben zu sprechen. (Ich sage ja auch nicht: Ich gebe meine Plattensammlung auf und erweitere sie zugunsten einer CD-Sammlung.) Hier hätte sich die Autorin einfach das Wort “aufgeben” sparen können. Warum steht es trotzdem da? Ich vermute, dass es in akademischen Kreisen gut klingt, wenn man obsolete Ansätze verwirft – nur muss man es dann auch machen.
Eine andere Erklärung ist ein falscher oder fehlender Bezug: Es kann sein, dass das Erweitern sich nicht auf die Produktionsorientierung beziehen soll, sondern auf etwas anderes, das hier aber nur implizit mitgedacht wird, im Satz also fehlt und damit das Verständnis behindert. Das könnte so etwas sein wie die Methodik der Kurse oder die Ausrichtung, sodass der Satz mit einem klaren Bezug dann ungefähr heißen könnte: Die seit den 1990er-Jahren übliche Produktionsorientierung in kreativen Schreibkursen wird […] aufgegeben und die Methodik der Kurse wird hier zugunsten einer Ereignisorientierung erweitert.
Fünftens: Wozu genau dient das Wort “hier”, das seltsamerweise erst beim Erweitern eine Rolle zu spielen scheint, nicht aber beim Aufgeben? Wird an unterschiedlichen Orten gehandelt? Wer gibt denn jetzt auf und wer erweitert? Auch dieses Wort hätte man sich sparen können.
Damit hängt der letzte Punkt zusammen: die verschleiernde Passivkonstruktion. Das ist ein klassischer Lesehemmer bei akademischen Texten. Leser:innen wissen immer gerne, wer verantwortlich ist, aber Autor:innen scheuen sich manchmal, zu einer Entscheidung zu kommen und nehmen dann das Passiv. Das Problem ist: Viele Sätze klingen, wenn man sie ins Aktiv überträgt, plötzlich nicht mehr gut und erfordern ein Überdenken der Aussage selbst. Und so ist es auch in diesem einen Beispiel: Die Variante Ich gebe die seit den 1990er-Jahren übliche Produktionsorientierung […] auf und erweitere sie hier […] zugunsten einer Ereignisorientierung klingt beinahe wie eine Parodie. Hier müsste man gründlich umformulieren, um den Satz gut und überzeugend klingen zu lassen.
Zu meckern findet man immer was; wenn aber ein Satz in solchem Ausmaß unfertig scheint wie dieser hier, kann man davon ausgehen, dass viel Potential verschenkt wurde. Und das ist leider wirklich nur ein Beispiel; das ganze Buch liest sich so.
- Btw awaiting your call, for the next book. ↩︎