In einem Betonquader

Um zu verstehen, was los ist in der Literatur, lese ich gern Bücher an, die auf Listen stehen. Wegen eines pedantischen Charakterzuges bleibe ich bei dem Versuch, in ein Buch reinzukommen, oft schon nach ein paar Sätzen an Details und Merkwürdigkeiten hängen. Zum Beispiel hier:

Anfang gelesen von: Anna Kim, Geschichte eines Kindes (Suhrkamp 2022)

Listen: Deutscher Buchpreis 2022 (Longlist), Österreichischer Buchpreis 2022 (Shortlist)

Hängengeblieben an:

  • These: Ein einzelnes Wort kann einen Unterschied machen. Beleg: “Untergebracht war ich in der Gästewohnung der Universität, die sich im Erdgeschoss des Verwaltungsgebäudes befand, in einem Betonquader aus den siebziger Jahren”.
    Worauf bezieht sich das Wort in bei “in einem Betonquader”, also was befindet sich “in einem Betonquader”? Verbindet die Präposition in das Objekt Betonquader mit dem Prädikat war untergebracht, d.h. stehen die Objekte Betonquader und Gästewohnung auf der gleichen Stufe und das Subjekt ich ist sowohl in der Gästewohnung als auch in einem Betonquader untergebracht? Oder ist das Prädikat befand sich ausschlaggebend, d.h. stehen die Objekte Erdgeschoss und Betonquader auf einer Stufe und das Subjekt Gästewohnung befindet sich sowohl im Erdgeschoss als auch in einem Betonquader? Das kann wohl beides jeweils so gemeint sein, aber nicht gleichzeitig – und deshalb klingt der Satz etwas komisch.
    Die zweite Variante scheint zugegeben weniger wahrscheinlich. Denn dann wäre strenggenommen nur das “Erdgeschoss” (und nicht das “Verwaltungsgebäude”) ein “Betonquader”, was als Bild wohl etwas seltsam wäre. Der Kontext und unser Weltwissen legt also nahe, dass im dritten Teilsatz das “Verwaltungsgebäude” nachträglich als “Betonquader” spezifiziert werden soll. Dann stellt sich allerdings die Frage, wozu man das Wort “in” hier eigentlich braucht. Wenn da nämlich stehen würde “Untergebracht war ich in der Gästewohnung der Universität, die sich im Erdgeschoss des Verwaltungsgebäudes befand, einem Betonquader aus den siebziger Jahren”, wäre ziemlich eindeutig, dass mit “Betonquader” das “Verwaltungsgebäude” gemeint und spezifiziert wird – und die Frage nach dem richtigen Prädikat oder Subjekt für die nun fehlende Präposition in würde sich gar nicht stellen.
    TLDR: “in” bei “in einem Betonquader” weglassen?

Über Semikolon und Punkt nachgedacht:

  • Inwiefern haben Semikolon und Punkt unterschiedliche Funktionen in dem Abschnitt “aus den siebziger Jahren; die Einrichtung stammte aus den Achtzigern, die Klimaanlage aus den Neunzigern. Seit den Nullerjahren”? Das erste Semikolon könnte den Satz mit dem vorigen verbinden, damit die Reihe der Dekaden (“siebziger”, “Achtziger”, “Neunziger”) fortgesetzt wird. Allerdings wird das am Ende bei “Neunzigern. Seit den Nullerjahren” ja nicht genauso gemacht. Was also ist der Grund dafür, das hier der Punkt vorgezogen wird?

Über Komma und Punkt nachgedacht:

  • Warum werden manchmal zwischen zwei Hauptsätze Kommas gesetzt (“öffnen, sie”, “Wellen, meistens” und “leise, ausgerechnet”)? Was ist der Unterschied zu den Sätzen, zwischen denen ein Punkt steht (“Wisconsin. Ich”, “verbringen. Untergebracht”, “Neunzigern. Seit”, “Rattenexkrementen. Manchmal” und “Gehirn. Nur”)?