Um einen Eindruck davon zu bekommen, was los ist in der Literatur, lese ich gern Bücher an, die auf Listen stehen. Wegen eines pedantischen Charakterzuges bleibe ich oft bei den ersten Sätzen an Details und formalen Merkwürdigkeiten hängen. Hier teile ich Beobachtungen und Fragen, die sich bei dem Versuch ergeben, in ein Buch reinzukommen.
Anfang gelesen von: Carl-Christian Elze, Freudenberg. (Longlist Buchpreis 2022):
Durch die Lüftungsschlitze roch Freudenberg das Meer. Gerd drehte sein breites Gesicht nach hinten, um rückwärts einzuparken. Freudenberg wich seinem Blick aus und schaute aus dem Seitenfenster. Neben der Bordsteinkante lag ein zerquetschter Igel. Der Bordstein schien fast einen Meter hoch zu sein. Es sah so aus, als wäre das Tier von einer Klippe gestürzt und nicht überfahren worden. Freudenberg vertiefte sich in den Anblick. Der Körper war eine einzige graue Masse, nur die kleine Zunge, die aus dem spitzen Kopf herausragte, war noch rot. Freudenberg musste an seine eigene Zunge denken, daran, dass sie ihm lästig war; schon immer. Schon als Kind hatte er instinktiv begriffen: ohne Zunge keine Sprache und ohne Sprache keine falschen Sätze und ohne falsche Sätze keine falschen Gedanken und Gefühle.
Hängengeblieben an:
- Wieso weicht Freudenberg dem Blick des einparkenden Gerd aus – schaut der nicht eher nach hinten durchs Fenster? Oder sitzt Freudenberg hinten im Auto, also in Gerds Blickfeld?
- Wo gibt es Bordsteine, die aussehen, als wären sie einen Meter hoch? Oder ist das eine Übertreibung, die zeigt, wie verzerrt die Wahrnehmung (wohl der Figur Freudenberg) ist?
- Sind Igel nicht braun, und wenn ja, wieso ist dieser dann grau? Wie erkennt man einen Igel überhaupt in “einer einzigen grauen Masse”?
- Sprache gibt es natürlich auch ohne Zunge (zB ein Text). Freudenberg scheint also tatsächlich eher instinktiv zu begreifen.